Teil 11: Kalter Cajas Nationalpark, tropische Kakaoplantage, gefährliche „Area 51“ Guayaquil
6. – 7. Dezember 2019
Ein kleiner Abschiedsschmerz piekst mich, als ich mit Wanderbus in der Frühe Cuenca verlasse. Ich hatte Ecuadors Kolonialhauptstadt bereits bei meiner Ankunft sofort ins Herz geschlossen (den Beitrag zum Nachlesen findest du hier). Zeit für Melancholie bleibt keine, neue Erlebnisse stehen bereits in den Startlöchern.
Nach einer Stunde Fahrt kommen wir vorm Eingang des Cajas Nationalparks an. Per Katapult aus der Stadt in die Natur. Kontrastreicher könnte der Morgen gegenüber den letzten Tagen nicht sein. Zwischenzeitlich sind wir auch wieder auf 3.900 Metern. Entsprechend hat sich das Klima verändert. Gestern auf Betriebstemperatur bei 30° Grad, zeichnet sich mein Atem nun als Hauchwölkchen in der kalten Luft ab. Adios Sommer.
Die feuchte Kälte spiegelt sich auch in der Natur wider. Prägten anfangs noch sattgrüne Bäume, Bachläufe und Wasserfälle das Landschaftsbild, hüllt sich nun das Draußen in geheimnisvollen Nebel. Vereinzelt ziehen hübsche Holzhäuser im Wildwest-Style an der Scheibe vorbei. Es fehlen nur noch die Cowboys.
Der Geruch von Holzfeuer hängt in der Luft, als wir aus dem warmen Bus steigen. Er kommt aus dem „Casa Don Guevara“. Der Name könnte nicht treffender sein, lache in mich hinein. Das schreit ja förmlich nach einer Kaffee-Revolution zum Frühstück (Revoluzzer-Hintergründe werden in Teil 9 erklärt).
Laguna Toreadora und der Lebensbaum
Nach dem Frühstück passieren wir die Einfahrt des Cajas Nationalparks. Nächster Halt, die Laguna Toreadora. Brrrr, immer noch frisch… selbst das Kaminfeuer konnte die Morgenkälte im Casa Don Guevara nicht vertreiben. Vor gerade mal zwei Wochen lag hier noch richtig hoch Schnee, erzählte uns der Restaurantbetreiber.
Jacke drüber, Kamera geschnappt und auf zum Aussichtspunkt. Eine grandiose und etwas mystisch-verwunschene Landschaft breitet sich vor uns aus. Dem perfekten Kitsch-Klischee fehlen bloß ein paar kleine Wald-Trolle, die über die Störenfriede fluchen und unter Wurzeln und über Steine wuseln.

Der Cajas Nationalpark umfasst ein 28.808 Hektar großes Seengebiet. Vor Ewigkeiten gab es hier einen Gletscher. Von dem ist nichts mehr zu sehen. Sogar Camping-Möglichkeiten bieten sich bei der Lagune. Hier kann sich locker mehrere Tage die Füße platt latschen. Etliche Wegweiser schlagen unterschiedliche Wandertouren vor. Mehr Zeit bräuchte man…


Philippe, unser Guide, weiß viel über den Nationalpark und seinen Pflanzen zu erzählen. Wir stehen vor einem „Tree of Life“, dem Lebensbaum. Den Glauben, der mit ihm verbunden ist, finde ich schön: Die Inkas sagen, fühlt man sich traurig, ausgebrannt oder hat schlechte Gedanken, solle man diesen Baum umarmen. Er sauge alles Negative und sämtliche Blockaden aus dem Körper und gebe gute Energie zurück.

Inmitten dieser atemberaubenden Landschaft ist man durchaus geneigt, an Schamanismus und den Spirit der Natur zu glauben. Ein Kraftort ist dieser definitiv, das lässt sich nicht bestreiten.
Und zum Thema Spirit: Auf unserer Weiterfahrt stoppt uns ein wild gestikulierender Autofahrer. Der Ecuadorianer redet mit der Wanderbus-Crew, deren Augen plötzlich groß werden. Dann bricht Hektik aus. Wir haben während der Fahrt unbemerkt Gepäckstücke verloren!
„Bitte nicht“, murmele ich. Mir wird heiß und kalt, als ich an meinen Rucksack denke, in dem sich unter anderem das Netbook und die Flugtickets für morgen befinden (oder befanden). Der aufmerksame Herr hat unterwegs bereits eine Tasche aufgelesen und gibt sie Philippe zurück. Es handelt sich um seine. Wir checken das Gepäck im Bus. Alle weiteren Taschen sind glücklicherweise noch da. Keine Ahnung was da passiert ist.
Es heißt, in Ecuador sei das Wetter unberechenbarer als die Laune vieler Frauen
Drei Ökosysteme gibt es im Cajas Nationalpark und der angrenzenden Region. Nebelwald, Highlands und tropischen Wald. Wir pfeifen uns heute alle rein! Das Klima und die Temperaturen wechseln schneller, als ich meine Kleidungsstücke. Vom sonnigen Cuenca hinein ins Nass-Kalte, der Nebel rundum wird wieder dichter.

Je näher wir der Küste kommen, desto schwüler und tropischer wird es. Auch die Landschaft hat sich grundlegend geändert. Endlose Reisfelder, Zuckerrohrplantagen und Shrimps-Bassins ziehen vorbei. Philippe zählt die wichtigsten regionalen Witschaftsgüter auf: Reis, Bananen, Zuckerrohr, Mangos und Kakao. Reis kommt bereits zum Frühstück auf den Teller. Ein super Kohlenhydrate- und Energielieferant für die körperlich anstregende Arbeit der Farmersleute.
Hitze und Schoki – Der ecuadorianische Kakaoplantagen-Himmel
Über eine schmale Holperpiste tuckern wir die letzten Meter zur Kakaoplantage. Die Bäume hängen voller duftender Mangos und Avocados, die Sträucher sind übersät mit Kakaobohnen.

Für mich der letzte Wanderbus-Programmpunkt des gebuchten Tangara-Pass (mehr in Bericht Teil 4), seit ich in Quito startete. Wir werden auf einer Kakaoplantage selbst Schokolade herstellen.
Zwischen rot-gelb gestreiften Kakaobohnen schlagen wir uns durch die Sträucher, während blutlüsterne Mosquitos surrend-sabbernd über die Hautparzellen herfallen, die repellentfrei sind. Philippe pflückt schnell eine reife Frucht, wir flüchten.


Zur Schokoladenproduktion wird zunächst die ovale, harte Frucht halbiert. Fluffiges, weißes Fruchtfleisch kommt zum Vorschein. Philippe hält jedem von uns eine halbe Kakaobohne hin, wir pulen uns Stücke raus. Er erklärt, wir sollen das Mark vom Kern ablutschen und diesen ausspucken. Auf keinen Fall draufbeißen, die Kerne wirken toxisch auf den Magen. Allein das süße Fruchtfleisch ist göttlich!

Die großen, schwarzen Kerne werden vor ihrer Verarbeitung großflächig in der Sonne ausgelegt und getrocknet.
Zusammen mit einem Mitarbeiter der Plantage, röstet Philippe vollständig getrocknete Kerne in einer Pfanne. Sofort umhüllt uns ein herber Schokoladenduft. Die gerösteten Kerne pellen wir wie Erdnüsse von ihrer Haut, wir probieren erneut. Sie schmecken leicht bitter, extrem aromatisch.

während ein Plantagen-Mitarbeiter Kerne röstet
Als nächstes werden sie in einer Art Fleischwolf von Hand gemahlen. Eine ölig-dunkelbraune Masse quilt zäh aus der Öffnung. Philippe kratzt sie mit einem Messer auf den Teller, den er uns zum probieren hinstreckt. Was dann auf unseren Zungen explodiert, ist der reine Geschmack 100% purer Schokolade. Noch immer bitter, aber unfassbar intensiv. Er stellt einen weiteren Teller mit kleinen braunen Rohrzucker-Stückchen hin, wir mischen sie im Mund mit einem kleinen Klecks Schokopaste. Mir schwinden förmlich die Sinne vor süßer Glückseligkeit! Kaum zu fassen, dass ich noch vor wenigen Jahren mit Schokolade überhaupt nix am Hut hatte.

„Und jetzt bekommt ihr einen Kakao, den ihr niemals in eurem Leben vergessen werdet!“, kündigt Philippe an. Auf dem Herd kocht bereits ein Topf mit heißem Wasser. Unser Schoko-Gott kippt den restlichen Rohrzucker und frische Stängel Zitronengras hinein. Mit Blick in unsere ungläubigen Gesichter versichert er, „Vertraut mir“, bevor er die gute Schokomasse in das sprudelnde Wasser gibt.

Jeder bekommt einen kleinen Becher. Ich halte mir den heißen Trunk unter die Nase, schnuppere. Wenn es nur halb so gut schmeckt, wie es riecht… Gaumen-Vorfreude-Eskalation! Die Geschmacksknospen katapultiert’s binnen Sekundenbruchteilen in die absolute Kakao-Ekstase. „Damit bekommst du bei nem Date wirklich alles und jede rum“, sabbere ich Philippe seelig voll. Den Kakao-Kollegen kratz ich wegen eines Jobs auf der Plantage an. Der strahlt und nickt.
Der kulinarische Gipfel endet beim Mittagessen. Umringt von Mangobäumen, Kakaosträuchern und allerlei Grünzeug. An einem hübsch gedeckten Tisch werden wir mit köstlichstem Essen verwöhnt. Am Nachbartisch sitzt der Plantagen-Boss, den ich so kurzerhand kennenlerne. Erfreut stelle ich fest, dass er meine ungefilterte Begeisterung anerkennt. Ihm wurde auch meine Jobanfrage zugetragen. Als wir gehen, werde ich exklusiv mit Küßchen links, Küßchen rechts von ihm verabschiedet. Ich bekomme die mündliche Zusage und eine Visitenkarte in die Hand gedrückt. Breche fast ab vor Lachen.
Mal schnell die Fakten durchgehirnt: Geiles Wetter, Schokolade im Überfluss, Hängematten hat’s hier auch, arbeiten und futtern in der Natur – okay, es drohen Gewichtsprobleme (auch wenn Philippe schwört, von der reinen Schokolade nehme man nicht zu) und die Mosquitos sind nervig, ach fuck it! Zeit für Veränderung! Zeit, beruflich Prioritäten zu setzen! Bevor sich Wanderbus in Bewegung setzt, rufe ich: „Ich fang dann Montag in drei Wochen an!“ Erst mal fertig reisen. Hoffentlich haben die auch guten Kaffee…

Guayaquil und die Area 51
Noch zweieinhalb Stunden Fahrt bis Guayaquil, mein Wanderbus–Ende. Dann wird sich wieder alleine durchgeschlagen. Am Flughafen verabschiede ich mich von der Truppe. Einige kenne ich bereits seit mehreren Etappen. Darunter ein ganz goldiges, älteres Ehepaar aus der Schweiz. Wir drücken uns zum Abschied. Sie fahren heute noch nach Montañita weiter. Philippe organisiert mir ein Taxi und sagt dem Fahrer wo ich hin muss. 15 Minuten mit dem Taxi durch die typisch vollgestopften innerstädtischen Straßen, dann stehe ich dem festungsähnlich abgeschotteten Hostel. Über Booking.com hatte ich tags zuvor ein Zimmer reserviert.
Nach dem Einchecken ist noch reichlich Abend übrig, den ich ungern im Zimmer abhocken mag. Draußen vor der Tür tobt allerdings der Mob, das hört man sogar drinnen. An der Rezeption des Jeshua Inn frage ich nach einem nahegelegenen Supermarkt und erkundige mich allgemein nach der Situation hier, als Alleinreisende. Der freundliche Herr zückt einen Stadtplan und kritzelt munter drauflos. Er markiert zwei Hauptstraßen mit gelbem Textmarker. Rechts und links davon kreuzt er die Straßenblöcke großzügig aus. Die zwei Straßen sind sicher, überall sonst habe ich nix verloren, zu gefährlich. Quasi die „Area 51“ im Molloch Guayaquil. Zum Supermarkt kann ich problemlos laufen, versichert er mir. Sofern ich vor Einbruch der Dämmerung zurück bin.

Na prima, geht doch nichts über gute Vibes und ein Wohlfühl-Gefühl! Immerhin ist das Hostel sauber und ganz angenehm. Ist ja nur für eine Nacht. Irgendwie ist das kein Ort, an dem man sein möchte, denke ich, während ich meine Laufschuhe wieder zur wegpacke…
Der Eindruck verstärkt sich, als ich die „Danger Zone“ vor der Tür betrete. Willkommen in der 2,8 Millionen Einwohner Hafenstadt.
Es ist subtropisch warm (yippieh).
Es ist UNFASSBAR voll mit Autos und Abgasen (röchel).
Es ist mega hektisch (würden mich die Area 51-Aliens freundlicherweise zurück in den Dschungel oder zur Kakaoplantage beamen?!)
Es ist laut (Autofahrer hupen sich ins Nirwana, Sirenen heulen, Motoren dröhnen). Es ist… gefährlich…
Zum Glück finde ich den Supermarkt sofort. Besorge mir eine Kleinigkeit zum futtern und gehe nicht über LOS, ziehe keine 4.000 DM ein, sondern begebe mich direkt in das Gefäng- ääääh ins Hostel. Die Stadt killt meinen Kopf, der ordentlich wummert. Wen wundert’s, nach 3 Klimazonen mit heftigen Temperaturschwankungen innerhalb eines Tages.
Dafür macht sich freudige Aufregregung in mir breit. Morgen geht der Flieger nach Galapagos, ich kann es einfach nicht glauben! Muss bloß die Nacht überleben. War das grad ein Schuss da draußen?! Hoffentlich ist meine Schlafzimmerwand kugelsicher 🤨

(Teil 12 folgt, fliegt mit mir auf die Galapagos-Inseln!)
In welchen Städten habt ihr euch auf euren Reisen unsicher gefühlt? Was war die vermeintlich gefährlichste Stadt, in der ihr je wart? Seid ihr schon einmal in eine blöde Situation geraten, in der ihr euch richtig unwohl gefühlt hatbt? Ich bin an euren Erfahrungen oder auch Tipps interessiert.
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Ein Gedanke zu “ECUADOR – 34 TAGE ABENTEUER HOCHDOSIERT, BITTE!”