Teil 7: Der Amazonas ruft – Dschungel(über)leben im Cuyabeno Reservat
26. / 29. November 2019
Uuuuuaaaaaaahhhhhhh!!!!! Auf in in den Amazonas, rein ins nächste Abenteuer. Für mich Spinnen-Weichei eine persönliche Herausforderung. Aber genau an der wächst man ja bekanntlich.
Abenteuer wollen erobert werden und so lasse ich die längere Anreise über mich ergehen. Nicole (meine zeitweise Reisebegleitung -> Blogbeiträge Teil 6 / Teil 5) und ein Kollege von Carlos (dessen Agentur mir den Trip organisierte), haben mich gestern Abend zum Busbahnhof Baños gebracht und freundschaftlich verabschiedet.
19:40 Uhr, Abfahrt. Nach einer guten Stunde erreicht der Bus das Terminal in Ambato. Ich kaufe mein Ticket und verdödel bis 22 Uhr die Warterei mit süßem Cappucchino, dann startet der Nachtbus nach Lago Agrio.
Wechselgeld. Ein Kuriosum in Ecuador. Ich bin seit einer Weile im Land unterwegs und habe bemerkt, dass dies ein unliebsames Thema ist. Der Ecuadorianer kann prinzipiell kein Geld rausgeben und wenn doch, dann ungern. Seine Mimik unterstreicht meist das Desaster. Bestenfalls sorgt man dafür, immer den passenden Betrag in der Tasche zu haben. Auch Taxifahrer leiden an chronischer „Wechselgeldinsuffizienz“. Wobei man doch gerade hier davon ausgehen dürfte, dass genügend Groschen vorhanden sind. Es kann durchaus passieren, dass man zu wenig zurückbekommt, mit der „Entschuldigung“, keine Münzen mehr da. Unverständlich, aber inzwischen nehme ich es als gegeben hin. Zumal mein Spanisch nicht diskussionsfähig genug ist.
Für die Fahrt (kostet 3 oder 4 Dollar) habe ich jetzt dummerweise nur einen 20 Dollar-Schein, den ich verschämt dem Kassierer gebe. Er steckt ihn mürrisch ein, nuschelt spanische Brocken und geht. Ich beobachte, wie er die Fahrgäste abkassiert und höre mächtig Münzen klimpern. Mit gefüllter Tasche läuft er an mir vorbei und schließt wortlos die Fahrerkabine hinter sich. 45 Minuten später hock ich noch immer irritiert im Bus. Als die Neuzugänge bezahlen, erdreiste ich mich, höflich nach dem Wechselgeld zu fragen und werde brüsk abgespeist mit „cambio“ (= wechseln) und unverständlichen Spanisch-Wortfetzen. Ein Fahrgast erklärt, er müsse erst Geld wechseln. Ähh, hat er das nicht bei über 20 Leuten bereits getan?! Ich schweige. Bevor wir ankommen, drückt er mir das Geld in die Hand. Na geht doch.
In der Morgendämmerung erreichen wir um 5:50 Uhr das Terminal in Lago Agrio. Herrlich, 25 Grad. Ich hocke mich auf eine Bank, neben mir ein Weihnachtsbaum-Gebilde mit Pseudogeschenken darunter und warte, dass mich wer aufsammelt. Zumindest hatte ich Carlos so verstanden, als er etwas von chillen in einer gemütlichen Lodge mit Hängematten erzählte, bevor es in den Dschungel geht. Hier sieht’s nicht chillig aus. 40 Minuten später bin ich immer noch bestellt und nicht abgeholt. Kaffee wär jetzt was, mjamm mjamm. Die Nacht war übelst schlafarm, so sitzend im Bus. Nervös texte ich Carlos, der glücklicherweise schon wach ist und prompt antwortet. Ups, ich muss mit dem Taxi zur Chillout-Area. Sein Hinweis, doch bitte die Unterlagen zu lesen, bringt Klarheit. Da steht es sogar drin. Wie düsselich, ach, kaum ist man im Urlaubsmodus. Schäme mich kurz.
Keine 5 Minuten später wirft mich das Taxi vor einem umzäunten Haus am Straßenrand raus und fährt weg. Sieht verlassen aus. Bin ich hier richtig?! Zumindest das Foto in den Unterlagen sieht wie dieses Haus aus. Ich finde eine Klingel, die Pforten öffnen sich. Große Erleichterung.
Ich begrüße zwei Pärchen, die in Hängematten fleetzen und rühre mir koffeeinverzweiflungssüchtig Instantkaffee und Milchpulver in heißes Wasser. Noch 2 Stunden…
Wir sind eine Truppe von 7 Leuten. Ein Pärchen aus Holland, eins aus Amiland (alle Mitte 20) und ein älteres Ehepaar aus England. Nach einem gemeinsamen Frühstück werden wir mit dem Survival-Equipment ausgestattet: Gummistiefel, Ganzkörper-Regenponchos und ein grüner Seesack, um alles reinzupacken. Im Sprinter holpern wir 2 Stunden nach Oriente. Auf halber Strecke stoppen uniformierte Männern mit Maschinenpistolen den Wagen. Vielleicht, weil wir uns der kolumbianischen Grenze nähern? Besorgte Blicke, keiner von uns versteht ein Wort. Unser Fahrer steigt aus und regelt alles. Uff, wir dürfen weiter. Es geht tiefer ins Hinterland, alles ist so ursprünglich, Häuser, kleine Läden am Straßenrand, die Plätze, auf denen Kinder im Staub Fußball spielen.
Tag 1 // Tierischer Dschungelsound
In Oriente werden unsere Reiserucksäcke in ein Kanu geladen und wasserdicht verpackt. Wir schnuppern währenddessen erste tropische Amazonasluft. Die Geräuschkulisse ist unbeschreiblich. Ein Vogel, einer der Guides nennt ihn wegen seines seltsamen Lautes „Waterdrop Bird“, begeistert mich maßlos. Der Tropenzwitscherer heißt Oropendola und wer sich seinen sehr speziellen Laut anhören möchte, findet bei Youtube einige Clips dazu. Lohnt sich!


Unsere Fahrt in den Amazonas geht in die nächste Etappe. Weitere 2 Stunden bringt uns das Motor-Kanu auf dem Punte Rio tiefer in den Dschungel hinein. Die Augen wissen gar nicht, wohin sie überall blicken sollen, aus Angst, etwas zu verpassen.

Alles hier ist viel größer als üblich. Überall wachsen und wuchern überdimensionale Bäume, Farne, Palmen, hängen meterlange Lianen über dem Fluss und flattern große azurblaue Schmetterlinge (Morpho Menelaus Clymena, wunderschön) neben uns her. Der gehässige Synchronsprecher in meinem Kopf raunt „Was meinste, wie groß erst die Spinnen sind?!“ Aber jetzt bin ich hier, ich zieh das durch und dann wird sich zeigen, wie die Phobie auf Achtbeiner-Konfrontationskurs reagiert.
In den Bäumen springen Affen, Vögel sonnen sich auf Ästen und trocknen ihre ausgebreiteten Flügel. Der Fluss wird breiter, wir steuern auf einen Baum mitten im Wasser zu. Sie ist bereits von Weitem zu sehen. Ein großer, in sich zusammengerollter Wulst, schwarz-grau mit orangefarbenem Muster. „This is the anaconda“, verkündet unser Bootsführer stolz. Um die 5 Meter lang, ergänzt er. Wir sind so nah, dass wir nur den Arm ausstrecken müssten, um sie zu berühren. Respektvoll ziehen wir die Köpfe ein und gehen auf Sicherheitsabstand. Beeindruckend und völlig surreal. Eine Schlange von solch einem Ausmaß, habe ich noch nie gesehen. Das Tier lässt sich nicht von uns stören.


Es nieselt kurz, dann macht der Regenwald seinem Namen alle Ehre und es schüttet wie aus Eimern. Versteckt unter den Gummiponchos, kauern wir im Boot, die Gesichter patschnass, vom Regen, der uns durch die Fahrt entgegenklatscht. So schnell wie es anfängt, hört es auch immer wieder auf. Dann ist es unter den dicken Regenhauben auch nicht mehr auszuhalten.
Ankunft in der Bamboo Lodge
14:15 Uhr, wir biegen in einen schmalen, bewucherten Flusszweig und werden mit den Worten „welcome to the jungle!“ am Ufer der Bamboo Lodge begrüßt. Das Zuhause der nächsten 4 Tage.

Nach einem leckeren Mittagessen werden wir auf die Unterkünfte aufgeteilt. Als einziges „Nicht-Paar“ bekomme ich ein 3-Bett-Zimmer mit Bad. Ich freue mich über das unerwartete Upgrade. Die Schizo-Stimme aus dem off freut sich mit: „Mega, ne? Heut Nacht heulste, wenn die Tarantel in deinem Zimmer Salsa tanzt. Darfste dann allein raus tragen.“ Es hat auch was Gutes, wenn man ein wenig krank im Kopp is. Man kann sich nämlich alles doofe auch wieder selber schönreden. Dafür hab ich auch ne Stimme: „Ach, das wird! Immer locker durch die Hose atmen. Es gibt hier keine so großen Spinnen,“ beruhigt sie.

Kleine Siesta, dann geht’s wieder auf den Fluss. Wir tuckern zur Lagune (nicht so paradiesisch wie das jetzt klingt) und wer mag (alle außer Guide Willian und mir) springt in die dunkle Brühe und badet im Sonnenuntergang. Ich genieße das Schauspiel vom Kanu aus und denke an die Anaconda, die in der Nähe im Baum hängt – oder vielleicht gerade hierher schwimmt. Es regnet wieder, juckt aber niemanden, sind eh alle nass. Die Sonne verabschiedet sich zusammen mit einem leuchtenden Regenbogen, während wir in der Dämmerung zur Lodge zurückfahren.


Nächtliche Dschungelsafari
Beim Abendessen informiert uns Willian, dass wir später nochmals rausfahren, um Kaimane und Schlangen zu suchen. In einer Mosquitospray-Duftwolke und bewaffnet mit Stirnlampen, steigen wir ins Boot. Unbegreiflich, wie Kapitän „Cappy“ sich in der absoluten Dunkelheit orientiert. Am Himmel zeigt sich eine Sternenpracht, wie ich sie selten gesehen habe. Traumhaft!
Willian leuchtet derweil über das Wasser, auf der Suche nach roten (Kaimanaugen) und weißen Reflektionen (Schlangenaugen) in der Ferne. Weiße sehen wir schnell. In einen Baum räkelt sich eine gelb-orange farbige Boa. Dann entdecken wir eine weitere junge Schlange. Auch die Anaconda hängt noch in ihrem Baum und knackt.

Der Lichtstrahl wandert weiter über den Fluss. Wie auch immer er das macht, Willian erspäht plötzlich rote Augen. Cappy lenkt das Boot in den Mangrovenwald und Willian deutet still auf einen riesen Kopf, der aus dem Wasser ragt. Geräuschlos nähern wir uns vorsichtig. Vor uns im Wasser schwimmt ein 3 Meter langer Kaiman. Irre!


Willian ist hochzufrieden, voller Erfolg. Zeit zurückzufahren. Cappy düst uns souverän zur Logde, man kann wirklich nicht die Hand vor Augen sehen.
In der Bamboo Lodge geht’s tierisch weiter. Mit der Dunkelheit kommen Spinnen. Tja, ist halt kein Ponyhof hier. An der Holzwand einer der Unterkünfte (nämlich in der auch ich schlafe – oder nicht), klebt ein gar nicht mal so unaufdringliches Exemplar. Eine junge Vogelspinne, grinst Willian. JUNG?! Sollte jung nicht klein sein? Wie sehen dann die Alten aus? Gehen mir die vom Boden bis zum Bauchnabel?? Ich bin geschockt. Und irgendwie fasziniert… nein, mehr geschockt. Mein Hirn kriegt es nicht auf die Kette, was die Augen sehen. Prompt klinkt sich die Schizo-Stimme wieder ein: „Riesenteil, ne? Hat mehr Haare annen Beinen als du! War übrigens witzig, wie du vorhin erschrocken bist, als der Frosch in deinem Zimmer die Cremetube umgehüpft hat. Viel Getier in deiner Bude! Wie die Fledermaus, die über deinem Bett ständig ihre Runden flattert. Du glaubst noch immer, Spinnen können nicht rein? By the way, haste dir mal den Abstand zwischen den Bodendielen angeguckt? Luftiges Zimmer, in dem du da wohnst.“
Ich schnappe meinen Verfolgungswahn und nehme ihn mit ins Zimmer. Mit Überwindung ziehe ich den Vorhang zur Nasszelle auf, bevor mein Röntgenblick Dusche und Waschbecken abscannt. Uff… keiner da. Ich verkrümel mich ins Bett und stopfe das Mosquitonetz akribisch unter die Matratze. Das leuchtende Display des Ebook-Readers lockt kleine Mückchen an, die mir in die Nase fliegen. Wie ein Schutzschild ziehe ich das dünne Laken über den Kopf und lausche dem grandiosen Dschungel-Sound, der durch die scheibenlosen Fenster ins Zimmer dringt. Mein letzter Gedanke: „Wie soll ich jemals wieder einschlafen können, ohne diese wahnsinnig tollen Urwaldgeräusche?“ Durch die dünne Bretterwand mischt sich Nachbar-Geschnarche.
Tag 2 // Organisiertes Leben im Cuyabeno Reservat
Hab geschlafen wie ein Stein. Selbst der strömende Regen, der am Morgen auf das Dach poltert, wirkt meditativ. Verschlafen torkel ich zum Aufenthaltsbereich. Mit Sicherheitsabstand checke ich unterwegs, ob die Spinne dort vielleicht grad frühstückt. Sie ist weg, ist das jetzt besser? Mich meinem Kaffeeschicksal ergebend, löffle ich Instantkrümel und Milchpulver (darauf bedacht, die Ameisen nicht mit reinzuschaufeln ) in eine Tasse heißes Wasser. Mein Blick schweift durch die Anlage. Viel gibt’s hier nicht, back to the roots, das entschleunigt. Weg kommt man ausschließlich per Boot, der Bewegungsradius ist somit auf dieses Insel-Kleinod beschränkt. Neben den paar Schlafhütten gibt es eine „Honeymoon-Suite“, wie ich sie nenne, einen Aussichtsturm, den Aufenthalts-/Essbereich und die Terrasse mit Hängematten an der Anlegestelle. Alle Hütten sind über Holzstege miteinander verbunden. Und dann gibt es noch „das Gym.“ Ich muss so lachen, als ich die selbstgebauten Beton-Hantelstangen und Gewichte neben der Klimmzugstange im Gras entdecke.





Das Camp ist super organisiert, komplett ökologisch. Von 7 – 22 Uhr gibt es Licht. Meistens. Der Strom kommt über ein Solarpannel. Darüber wird auch das Duschwasser aufgewärmt. Duschwasser, Toilettenspülung etc. ist Regenwasser oder kommt aus dem Fluss. Deshalb wird damit auch nicht die Zähne geputzt. Eigenes Shampoo/Duschgel sollen wir nicht verwenden, nur das Zitronellazeugs, das in der Dusche hängt. Riecht gut und ist für die Natur verträglicher. Handys und elektronische Geräte können zwischen 19 – 22 Uhr geladen werden. Nicht, dass man hier Empfang hätte! Das Cuyabeno Reservat ist völlig im off, was ich enorm genieße. Die Außenwelt bleibt außen vor.
Direkt nach dem Frühstück brechen wir auf. Zwei Stunden lang genießen wir die Bootstour und die Tierwelt. Heute gibt’s sogar einen Manta im Fluss-Angebot. Ungewöhnlich nah schwimmt er an unser Boot. Willian sieht wirklich überall Getier und zeigt es uns mit Begeisterung. Er hat bereits einen Bildband über die einheimischen Vögel rausgebracht und kennt alle.





Im Baum sitzen „Stinky Birds“. Der Name ist Programm, erklärt er uns, denn der Flatterich stinkt. Wegen seiner vegetarischen Ernährung. Dies sei bei mir aber nicht der Fall, grinst er mich an und feixt sich einen. Jaja, die Vegetarier halt wieder…
Besuch der Kommune Puerto Bolivar
Um 11 Uhr legen wir am Ufer der Kommune Puerto Bolivar an. In Gummistiefeln staksen wir durch Matsch und Wasserlachen über die Plantage, vorbei an Kaffeebohnenpflanzen und unbekannten Früchte. Willian haut eine Guama, eine Art überdimensionale Erbsenschote vom Baum, bricht sie auf und lässt uns das fluffig weiße Fruchtfleisch rauspulen. Schmeckt unerwartet lecker! Das süße Fruchtfleisch nur vom Kern ablutschen, nicht draufkauen, mahnt er.



Er zeigt uns riesige Ameisen unter einer Rinde und warnt: Ein Biss dieses Tieres sei vierzehn mal heftiger als ein Wespenstich, verursache ein Taubheitsgefühl an der entsprechenden Stelle und am nächsten Tag spüre man, beispielsweise bei einem Biss in die Hand, diese gar nicht mehr. Unterschätz niemals die Natur! Kaum gedacht, platscht ein ein kräftiger Regenschauer herab.
Willian stellt uns eine der Dorfbewohnerinnen vor. Mit ihr werden wir Yucca-Brot backen. Die beiden graben mit einer Machete Yucca-Wurzeln aus dem matschigen Erdreich, die geschält werden. In der „Küche“ (ein offener Unterstand mit Blätterdach und rundum aufgebockten Holzstämmen als Bänken) verarbeiten wir die Wurzeln weiter. Erst werden sie gewaschen, dann auf einer verbeulten Riesenreibe kleingehobelt. Die breiige Masse kommt in ein schweres Lianengeflecht und wird mühsam ausgepresst. Wir sind überrascht, wie viel Wasser die kleine Frau auswringt. Das Ergebnis ist eine Art Yucca-Parmesan, den sie als Crêpeteig auf einem flachen Stein auf der Feuerstelle verteilt. Sie klopft ihn mit einer Kokosnushälfte platt und backt ihn von beiden Seiten aus. So also werden Yucca-Fladen hergestellt.






Willian bereitet währenddessen aus Tomaten, Thunfisch, Limetten und Zwiebeln eine pikante Beilage zu. Der warme Fladen, wahlweise mit der Füllung oder einfach mit etwas Honig, stößt bei uns allen auf große Zustimmung. Keine Zusatzstoffe, keine chemische Verarbeitung. Super lecker und die außergewöhnliche Umgebung macht diesen Snack zu einem unvergesslichen Erlebnis.
Danach hat der angesehene Dorf-Schamane Raphael seinen Auftritt. Wir dürfen ihn mit Fragen löchern und opfern Felix, einen unserer Truppe, für ein schamanistisches Ritual. In blauer Tunika und mit Wildschwein-/Jaguarzähnen und Papageienfedernkrone ausstaffiert, malträtiert der Heiler singend mit stacheligem Blätterwerk Felix nackten Rücken. Wir gaffen fasziniert mitleidig. Ihm wird hochoffiziell das Ende seiner Rückenschmerzen prophezeit (wahrscheinlich ist jetzt Hautausschlag sein größeres Problem), dann folgt Touri-Bespaßung in Form von Blasrohrschießen. Kann man mal machen.

Unsere Dschungeltage sind vollgepackt, es wird mächtig viel Programm geboten. Uns bleibt eine Stunde Verschnaufpause, dann geht es um 18 Uhr auf Nachtwanderung in die grüne Hölle. Mir schwant, jetzt kommt meine persönliche Dschungelprüfung! Wir legen am Ufer irgendwo im Amazonas an und befinden uns keine Minute später richtig tief drin im tropisch-schwülen Urwald. Zum Schutz vor Ameisen, die bereits an meinem Bauch krabbeln, ziehe ich meine Socken über die Hose, und schlüpfe zurück in die Gummistiefel. Werden schon nicht diese Killerteile sein und morgen ist mein Bauch taub! Die unzähligen Mosquitos sind so gierig und ausgehungert, dass jeder Mikromillimeter ohne Repellent, zum all you can eat happy-hour-Buffet erklärt wird. Permanent sauge ich kleine Fliegen in den Riechkolben. Die Stirnlampe ist jedoch unabdingbar, es ist stockfinster! Auch Willian warnt eindringlich: Jeder hat sein Licht an! Niemand verlässt den Pfad! Und keiner fasst auch nur irgendetwas an! Die giftigsten Schlangen sind am Boden. Das hier ist ernst, soviel ist klar.
Ehrfürchtig leuchte ich umher. Dann richte ich das Licht über meinen Kopf und mir haut’s schier den Mais vom Kolben. Meterlange, riesige Palmwedel wuchern wie ein natürliches Dach hoch über uns, alles wächst wild und unbändig. Der feuchte, matschige Boden scheint ein Turbo-Dünger für die Pflanzen zu sein.
Willian will wissen, ob die Tarantel daheim ist. Mein Zeichen, mich in den Windschatten der Gruppe zu verdrücken. Mit einem dünnen Stöckchen klopft der Dschungelguru an ein kleines Loch am Stamm. Nix passiert, dann erscheinen zwei dicke Beine. Der Rest des Spinnentiers schießt aus dem Loch. Wuuuäääääähhhhh!!!!! An welchem Atommeiler hat denn die geleckt?! ABER: Ich hab hingeguckt! Mich der Angst gestellt! Nicht weggerannt, nur bissi versteckt.
Das Urwald-Spinnenportfolio hält weitere Langbeiner parat: Wolfsspinnen, eine schneeweiße Spinne und ein richtig großes dünnes Vieh, das Willian auf die Hand nimmt. Stop! Will ich nicht sehen.
Und wenn man so gesellig beisammen steht, während der Adrenalinpegel unkontrolliert wie eine fehlgezündete Feuerwerksrakete gen Himmel steigt, könnte man doch zum romantischen Teil übergehen. Unser Dschungelchef findet es irre toll, dem puren Sound zu lauschen. Jetzt. Ohne Lichtverschmutzung. Stört die Konzentration, wenn man nur Lauschen will und die Tarantel auf der Giftschlange reiten sieht. Unbeweglich, wie die Perücke von Olivia Jones, stehe ich in der Finsternis. Den nervösen Finger am Lichtschalter, während die Stimme im Kopf die schrille Melodie der „Psycho“ Badewannen-Messerszene zum Besten gibt.
Ich sag nur: KRASSER SCHEISS!! Hosen vollgeschissen, aber durchgezogen! Bin ab sofort eins mit der Natur, quasi in Symbiose mit ihr verschmolzen.
Die Erleichterung ist greifbar, als uns der Urwald nach der Durchquerung wieder ausspuckt. „Cappy“ wartet bereits und bringt uns durch die Dunkelheit zurück zur Lodge. Nach dem Abendessen gibt’s für alle eine Runde Caiphis aufs Haus. Läuft mir heut Abend – im wahrsten Sinne des Wortes – überaus geschmeidig rein!

Auf dem Weg ins Zimmer flüstert der innere Kackbratzen-Psycho: „Haste gesehen, die Vogelspinne hing nicht an der Lodge. Wo die wohl sein mag?!“ Dafür hopst der Frosch wieder im Zimmer rum und als die Fledermaus zum dritten Mal über mein Bett segelt, schalte ich die Stirnlampe aus. Das Licht im Camp ist schon seit 22 Uhr erloschen.
Tag 3 // Frühschicht und Leibesertüchtigung
5:50 Uhr – Boppes ausm Bett, zack zack!
Kleider an, Vogelnest aufm Kopf gekämmt, Zähne geputzt und einen laukalten Instantpulverkaffee in den Schlund gekippt. Schlechtes Friedensangebot für den müden Kadaver.
Der Camp-Frühschicht wird heute ein Sonnenaufgang vorm Frühstück serviert. Das stand schon gestern auf dem Plan, da wären wir allerdings im Boot ersoffen, so sehr regnete es. Umso mehr genießen wir heute die Stille und die aufgehende Sonne im Nebel. In der Lagune beobachten wir die rosa Flussdelphine beim spielen. Grandios!
Kurz vor 8 Uhr sind wir zurück. Nach dem Frühstück bleiben wenige Minuten und schon hocken wir erneut in Poncho und Gummistiefeln im Boot. Es regnet und gewittert. Schöne atmosphärische Stimmung.
Nach dem Rumgeschipper der letzten beiden Tage, können wir uns heute endlich mal bewegen. Dschungelwanderung, yeah! Cappy setzt uns an einem Ufer aus und wir schlagen uns 3 Stunden durch die tropisch-vermappelte Pflanzenwelt.

Ich fühl mich, als hätte ich Windpocken mit Flöhen. Die Mosquitostiche jucken wie die Sau.
Willian zieht wieder alle Register des botanisch-animalischen Entertainments. Wo der wieder Tiere ausgräbt und erspäht. Tukane, Eisvögel, einen Mini-Ameisenbären, Seqoia-Bäume mit Riesenwurzeln, Bäume aus deren Rinde (im Camouflage-Style) Chinin hergestellt wird, einen winzigen roten Frosch. Den Giftigsten übrigens, den es hier gibt. Wir sollen nicht dran lecken oder sein Sekret mit eigenem Blut in Verbindung bringen. Gut, dass er es erwähnt. War fast geneigt, die Zunge auszufahren… Wäre das Todesurteil. Einer der Bäume hat einen dünnen, schneeweißen Stamm. Seine Rinde sondert einen Schimmel ab, der Insekten tötet, die an ihm hochkrabbeln. Die trocknen regelrecht aus. Sachen gibt’s!
Eisvogel durchs Fernglas Verschlafener Ant-Eater
Der Boden ist extrem moorastig und lehmig. Bis über das Schienbein sinken wir im Mappel ein. Ich torkel umher, als hätte ich ne durchzechte Nacht hinter mir und stütze mich an einem Baum. Bekomme prompt die Lehre erteilt: Fass nix an! War ja die Ansage. Der Stamm hat Stacheln und ich einen blutenden Stich in der Hand.
Es stinkt gewaltig. Faulig.
Willian zieht seinen Stiefel aus einem dunkelbraunen Matschloch und hält ein Feuerzeug in den feuchten Schlamm. Sofort flackert eine bläuliche Flamme auf. Hier ist reichlich Methangas in der Erde. Unser kleiner Feuerteufel fackelt tüchtig weiter. An einem Baum pickelt er etwas Schwarzes von der Rinde und zündet es an. Das klamme Baumstück kokelt und qualmt. Es riecht nach einer Mischung aus Zedernholz und Weihrauch.
Nach 3 Kilometern mühsamer Schlammschlacht erreichen wir das Flussufer der anderen Dschungelseite. Im Gras liegt ein großes Kanu. Nix motorisierter Heim-Shuttleservice. Zur Lodge wird eigenhändig zurückgepaddelt. Mein Körper freut sich über die Leibesertüchtigung.
Nach dem Mittagessen ist heute längere Siesta-Zeit.
Die nächste Bootstour steht erst um 16:30 Uhr an. Der Buschfunk munkelt von einer weiteren Anaconda, die wollen wir suchen.
Wieder ist Paddeltraining angesagt. In den Bäumen beobachten wir umhertobende Totenkopfäffchen und werden von Affen beobachtet.
Dann steuern wir einen Baum im Wasser an. Zusammengerollt liegt darauf eine dicke Anaconda und chillt. Felix, ganz vorne im Kanu, wird unentspannt, da er den Würger gleich auf den Beinen liegen hat. Er bekommt unsere Handys und wird verdonnert, spektakuläre Nahaufnahmen zu machen.
Bis zum Sonnenuntergang wird gepaddelt, es gewittert die ganze Zeit. Natürlich schüttet es auch wieder ordentlich. Schnell den miefigen Gummiponcho drüber, bevor das Equipment nass wird. Einige der Truppe springen in die Lagune. Über uns grollt der Donner, während die Sonne sinkt und die Dunkelheit einbricht. Das Abendessen ruft, wir paddeln zurück.

Heute Abend hat alles wieder seine Ordnung. Die Vogelspinne hängt an ihrem Platz, wohnt ja hier. Mit gebührendem Abstand und viel Überwindung wage ich mich näher ran. Willian beobachtet belustigt meinen Eiertanz. Ich drücke ihm mein Handy in die Hand, damit er ein Angeber-Foto für Familie und Freunde macht. Kann ich selbst nicht. Dazu müsst ich noch näher dran, noch genauer hingucken, geht nicht! Wahrscheinlich krieg ich jedesmal den ultimativen Schock, wenn ich unerwartet das Foto sehe im Handy sehe.

Tag 4 // Vom Amazonas wieder ausgespuckt
Nach dem Frühstück müssen wir heute zurück in die Zivilisation. Der Abschied fällt schwer. Ich hätte ultra gerne weitere Tage dran gehängt.
Jetzt folgt das Einstiegsprogramm rückwärts. 2 Stunden Bootsfahrt zum Verladepunkt. 2 weitere Stunden Schaukelbus nach Lago Agrio und bis Mitternacht zum Ziel nach Baños. Dort wartet ein Bett im Dorm auf mich.


Mein Fazit: Ich würd’s wieder tun! Zweifelsohne! Es waren die mitunter spannendsten 4 Tage in meinem Leben. Lehrreich, tiefgründig, emotional, spaßig, gruselig, grandios… Auf dieses Erlebnis hätte ich niemals nie verzichten wollen. Jeder, der Natur und Tiere mag und die Chance hat, sollte sich auf das Abenteuer einlassen! Wenn ich an meine anfänglichen Zweifel denke, ich hätte es zutiefst bereut, es nicht zu machen. Deshalb, geht raus, seit mutig, verlasst eure Komfortzone! Lasst euch auf die Abenteuer ein, die die Welt parat hält! Und genießt sie in vollen Zügen!
(Teil 8 folgt)
Welche Dschungelerlebnisse hattet ihr schon? Was waren eure größten Herausforderungen und was hat das mit euch gemacht? Euch wie verändert? Was war für euch das Faszinierendste, das Beängstigendste? Erzählt es mir oder lasst einen Kommentar hier. Ich bin gespannt auf eure Geschichten!
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