Teil 1: Höhenrausch in Quito
17./18. November 2019
Gelandet! Der Körper ist noch unschlüssig, ob er sich freuen oder wegen totaler Übermüdung rumnölen soll.
Seit dem Start in Mannheim um 3 Uhr früh, sind rund 23 Stunden vergangen. Erst ging es mit dem Flixbus nach Frankfurt, dann mit dem Flieger nach Paris und nach einem Stop von rund 4 Stunden weiter nach Quito.
Immer ein gutes Gefühl, wenn das Gepäck zur gleichen Zeit am gleichen Ort ankommt, wie man selbst! Jetzt noch Startkapital in Dollar umwechseln (ich mache ein verdammt schlechtes Geschäft, wie ich erst später kapiere) und draußen vorm Terminal ins nächste Taxi zum Hostel (vorsorglich von daheim für die erste Nacht gebucht).
Am Taxifahrer übe ich meine alten Restbestände an miesen Spanischkenntnissen. Er muss während der halbstündigen Fahrt für Test-Smalltalk herhalten und sieht großzügig über meine zusammengesetzten Scrabble-Wortfetzen hinweg.
Hostel-Entertainment

Zimmerbezug im Hostel „Travellers Inn“. Eine mini Zelle in schweinchenrosa. Nicht die bevorzugte Farbe, dafür sauber und mit eigenem Bad. Das Zimmer wurde offensichtlich um das Bett herum gebaut, die Tür beginnt gleich dort, wo das Bett endet. Zum Glück bin ich ja recht platzsparend und meine paar Sachen aus dem Rucksack passen neben das Bett. Tatsächlich wurde sogar ein Fernseher in die kleine Ecke an die Wand gepackt.
Weitere Special Effects des Kämmerleins werden prompt präsentiert. Nix da mit stilles Kämmerlein! Nachbars Bad grenzt direkt an meines. Die Wände scheinen aus mikrodünnen Pressspanplatten zu bestehen. Es dringen ALLE Körperhygiene-Geräusche ungefiltert durch. Ich liege todmüde im Bett, als unfreiwilliger, akustischer Zeuge des benachbarten Toilettengangs. Da wurde scheinbar das Abendessen nicht so richtig vertragen…
Während ich weiterhin die Ohren nicht davor verschließen kann, wie „El Nachbar“ unermüdlich pfützenweise sein Innerstes nach außen kehrt, wünsche ich mir sehnlichst seine vorherigen Duschgesänge zurück. Dann ist Ruhe. Ich atme auf. Wer konnte ahnen, dass im Nachbarzimmer eine 3er-Männergruppe wohnt?! Resigniert ziehe ich mir die Decke über den Kopf, als Nummer 2 die Badezimmerbeschallung des Vorgängers übernimmt.
Um 6 Uhr startet man nebenan in den Nasszellen-Tag, wie er um 23 Uhr beendet wurde. Nach 30 sehr unappetitlichen Lauschübergriff-Minuten, versuche ich den Brechreiz mit lautem Hörbuchhören zu übertünchen. Nun ja, Nachbars haben die Challenge für sich entschieden.
Die 3 Prachtexemplare werden mir in all ihrer Leibhaftigkeit am Frühstückstisch serviert. Souverän hängen sie die schalltechnische Messlatte mit Frühstückskräckerknabberei und Kaffeeschlürferei nochmals einen Meter höher. Untermalt von permanenten Handygebimmel und Rundumzeige-Videoanrufen.
Erkundung der historischen Altstadt
An der Rezeption werde ich mit Stadtplan und guten Ratschlägen ausgestattet, dann stiefel ich in das 3 Kilometer entfernte Centro Historico. Meinen Rucksack halte ich, wie alle Locals, vor der Brust. Es hat wohl seinen Grund.
Auf dem Weg in die Altstadt entdecke ich die grünen Oasen der mit Autos, Taxen und Bussen vollgestopften Großstadt, deren Abgase das Atmen teilweise sehr unangenehm machen. Mehrere Parks bieten den Menschen hier wohltuende Rückzugsmöglichkeiten und sind auch immer gut besucht.

Mir fallen die bunten Wandbilder auf. Noch weiß ich nicht, dass mich diese farbenfrohen Malereien die nächsten Wochen durch ganz Ecuador begleiten werden. Sofort liebe ich diese wunderschöne Kunst, die die grauen Wände um ein Vielfaches aufwertet und der Umgebung einen charismatisch-coolen Charme verleiht.
An einer Bushaltestelle frage ich eine Ecuadorianerin nach dem Weg. Sie entschließt sich kurzerhand, ihren Bus sausen zu lassen und mich zu begleiten. Unter ihrem Regenschirm, den sie als Sonnenschutz über uns aufgespannt hat, führt sie mich durch die Straßen und erklärt mir auf spanisch die Gebäude und Kathedralen. Mit einem freundlichen Händedruck und lieben Worten entlässt sie mich 20 Minuten später in die Altstadt.
Höchste Hauptstadt der Welt
Quito ist mit rund 2.850 Metern die höchste Hauptstadt der Welt. Jetzt bekomme ich das zu spüren. Mein Herz puckert und die Atmung wird schneller, sobald die Straßen ansteigen.
In Quito man ist man direkt am Äquator, an den Andenausläufern und zum Amazonas-Dschungel ist es nur ein Katzensprung. In der „Stadt des ewigen Frühlings“ ändert sich das Wetter schneller, als man eine Jacke an- und ausziehen kann. Strahlender Sonnenschein kann ziemlich schnell von heftigem Regen abgelöst werden und umgekehrt. Genauso schnell ändert sich die Temperatur. Generell ist das Wetter eine sehr abenteuerliche Sache in Ecuador, was ich noch am eigenen Körper spüren werde…

Die Altstadt hat Flair! Den ganzen Tag über lasse ich mich einfach durch die Straßen treiben, die Menschen und die fremde Umgebung auf mich wirken. Am Unabhängigkeitsplatz (Plaza de la Independencia) gerate ich in den montags stattfindenden Wachwechsel (was ich zu dem Zeitpunkt allerdings nicht weiß, während ich mich über das Großaufgebot an Polizei und Absperrungen wundere).
Am Boulevard 24 de Mayo genieße ich die Kraft der Sonne und lasse den Blick streifen. Gegenüber auf dem Hügel „El Panecillo“ (übersetzt „das Brötchen“), thront die beflügelte Patronin von Quito.


Ich überlege, ob ich zum „geflügelten Brötchen“ hinauf soll. Die naheliegende Treppe durch die Ortschaft hoch kommt nicht in Frage. Die Warnung meines Hostelmanagers klingelt in meinem Ohr: „It’s dangerous, you could get lost!“ und auch der Reiseführer erwähnt häufige Überfälle auf Fußgänger. Ich entscheide mich gegen eine Taxifahrt, genieße einfach den Blick von unten und ziehe zu Fuß weiter.
Vorbei an mächtigen Kathedralen (wovon es in der tief gläubigen Stadt etliche gibt), Palästen, kleinen Parks und wunderschönen barocken Häusern, tingele ich durch das bunte Treiben der Altstadt. Überall stehen Menschen und verkaufen am Straßenrand Gemüse, Früchte und Süßigkeiten.



Gegen Mittag ziehen dunkle Wolken auf. Die Sonne hat bereits dezente Spuren auf meinen winterblassen Armen hinterlassen. Man vergisst einfach zu schnell, wie nah man hier am Äquator ist. Selbst durch die Wolken ist die Strahlung enorm.
Pause. Ich setze mich am Plaza de la Independencia vor ein schnuckeliges Café. Der gegenüberliegende Präsidentenpalast ist inzwischen nicht mehr abgesperrt, die Polizei ist abgezogen.

Viele Möglichkeiten in und um Quito
Bei einer großen Tasse Cafe con leche, stöbere ich im Reiseführer und meinen Aufschrieben. Wie lange werde ich in Quito bleiben? Wie organisiere ich die nächsten Tage hier, was steht morgen an und wie komme ich am besten von A nach B? Ich bin überfordert. Es gibt in und um Quito einfach zu viel zu sehen, zu viel zu erleben. Wie entscheide ich, was ich mir ansehe, was weglasse? Aaahhh, ich will nix verpassen 🙂

Als ich bezahle, bin ich noch immer ratlos. Ein kleines Männeken (er ist tatsächlich noch kleiner als ich!) steht an der Kasse, mein Blick fällt auf das Schild hinter ihm: FREE HUGS HERE. Unwillkürlich lächele ich. Etwas verlegen deutet er auf das Schild, ich grinse breit und schwupps, stehen wir da und drücken uns ganz innig. Ach, was freut er sich. Und ich mich. Da strahlt das Herz, bei solch einer warmen, ehrlichen Umarmung.

Der Rückweg zum Hostel hält Überraschungen parat. Erst bekomme ich heftiges Nasenbluten (die Folgeschäden der trockenen Flugzeugluft), dann regnet und gewittert es. Ich warte den Schauer und das Nasenbluten ab und ziehe mit aufgeweichter Straßenkarte weiter. Nach 2 Stunden bin ich noch immer nicht im Hostel angekommen. Der Himmel macht plötzlich richtig die Schleusen auf. Es schüttet, als würde jemand Badewannen auskippen. Mitten auf der Straße springe ich in das nächste Taxi – davon gibt es hier mehr als genug – gebe dem Fahrer die Adresse durch und bin keine 5 Minuten später (davon standen wir 3 Minuten im Stau, weil in Quito immer Stau ist) zurück im Travellers Inn.
Jetzt eine heiße Dusche und dann sollte ich wirklich einen Plan für morgen machen…
(Teil 2 folgt)
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