Teil 5: Spirituelle Zeremonien, Canelazo por favor und die Pablos von Quilotoa
22. / 23. November 2019
„Nacken des Mondes“, so lautet die klangvolle Übersetzung des Berges Cotopaxi. Mit Nicole (die ich auf der Reise kennenlernte) warte ich auf dem Parkplatz zum Südeingang des Cotopaxi Nationalparks auf den Wanderbus. Er rollt pünktlich um 11:30 Uhr an und heraus springt eine kleine, quirlige Ecuadorianerin namens Hayde. Sie ist unser Guide.
Mit einem weiteren Pärchen sind wir heute zu viert, eine überschaubare Reisegruppe. Für Nicole und mich wird es auch nur eine kurze Fahrt, wir steigen bereits am nächsten Stop in Quilotoa aus und bleiben dort über Nacht.
Kreisverkehr der Regentänze
Kurzzeitig hege ich Zweifel, unversehrt und mit allen Extremitäten in Quilotoa anzukommen. In Pujili fahren wir durch einen Kreisverkehr, in dem riesige bunten Figuren stehen. Heyde erklärt die Bedeutung, nämlich dass die Figuren für Regen tanzen. „Sehr erfolgreich, wie man sieht“, werfe ich ein. Hayde lacht und möchte ein Gruppenfoto. Mit uns im Kreisverkehr. Auch der Wanderbus parkt mitten in selbigem. Priiiima Idee und ein hervorragender Platz für eine „Totgefahrene-Touris-Fotostrecke“, verkünde ich meine Bedenken. Hayde lacht noch mehr, lässt sich allerdings nicht von ihrem Vorhaben abbringen, das kulturelle Besichtigungsprogramm für die Nachwelt zu dokumentieren.
Spoiler: Zu meiner Überraschung überleben wir und behalten alle Gliedmaßen.

Unterwegs zeigt sich wieder das unberechenbare Ecuador-Wetter. Mit T-Shirt sitzen wir bei strahlendem Sonnenschein im Bus. Schlagartig wird es düster, kalt und dann hagelt es so heftig, dass binnen weniger Minuten eine dicke, weiße Schicht die Straße bedeckt. Fahrer Carlos zeigt sich unbeeindruckt. Er heizt munter weiter. Irgendwie sind hier alle Fahrer schmerzfrei. Mein krankes Kopfkino spielt Fahrstunden-Szenarien ab: Fahrlehrer: „So, jetzt treten Sie mal anständig aufs Gas. Auf Geschwindigkeitsbegrenzungen kann man locker 20 km/h draufpacken. Und nicht so zimperlich in die Kurven, Weichei! Zu Recht hat der Hintermann seit 15 Minuten die Lichthupe an! Caramba!“
Kulinarische und musikalische Kuriositäten
Bevor wir am Ziel ankommen, ist Fütterungszeit. In einer urigen Hacienda wartet bereits ein 3-Gänge-Menü. Mein absolutes Highlight ist der frischgepresste Sternfruchtsaft, göttlich! Zur Suppe wird Popcorn gereicht, für uns crazy, gehört hier aber so. Die Locals lieben Popcorn in der Suppe.

Zum Essen gibt es in voller Lautstärke TV-Folklore auf die Lauscher. Hochmotiviertes Trachtenvolk musiziert mit allerlei Instrumenten zu überschwänglichem Gesang. Ungefiltert bohrt sich die Hansi-Hinterseher-Beschallung optisch-akustisch durch Augen und Ohrmuscheln in das Gehirn.

Der pittoreske Ort Quilotoa liegt auf knapp 4.000 Metern und obwohl sich viel im Bau befindet, ist es dennoch traditionell. Fast entsteht der Eindruck, man bereite sich allmählich auf Touristen vor. Kleine Souvenirläden verkaufen bunte Mützen, Schals und Ponchos. Am Straßenrand werden gegrillte Kochbananen mit Käse angeboten und es brutzeln Cuys (Meerschweinchen) auf dem Rost.
Ursprünglichkeit, Spiritualität und Tradition
Frauen mit markanten Gesichtern tragen ihre langen, pechschwarzen Haare zu Zöpfen, haben Filzhüte auf und farbige Röcke, Strumpfhosen und Pochos an. Mich erstaunt, wie dezent die Menschen in Ecuador sind. Gar nicht so, wie man es sich in Südamerika vorstellt. Die Indigenen sind freundlich, aber leise, distanziert und zurückhaltend. Ein schönes Bild, wie die Frauen ihren Nachwuchs, gehüllt in bunte Tücher, auf dem Rücken tragen und ein kleines Köpfchen mit viel Haar rauslugt. Ich fühle mich wie der einzige Touri unter Einheimischen und in eine andere Zeit versetzt. Die Menschen, ihre Ausstrahlung und ihr Stolz faszinieren mich.
Gegrillte Kochbananen und Cuys
Hayde führt uns eine Anhöhe hinauf und uns bleiben die Münder offen stehen. Unter uns liegt eine gigantische Lagune, deren Wasser intensiv leuchtet.

Die Einheimischen sind sehr spirituell und erdverbunden. So lädt uns Hayde zu einer kleinen Zeremonie ein. Am Boden laufen wir ein aufgemaltes, eckiges Symbol entlang, während Hayde uns sehr ausführlich die Bedeutung des Rituals erklärt: Jede Ecke steht für eines der wichtigsten Tiere des Landes – Puma, Condor und Anakonda. Die Himmelsrichtungen stehen für die Elemente Feuer, Erde, Wasser und Luft. Eine weitere Ecke vereint die wichtigen Werte, nicht lügen, nicht stehlen etc.) Als wir am Ende in die Mitte treten, sollen wir uns 3 Wünsche überlegen oder was wir in unserem Leben ändern möchten. Schenkt man dem Glauben, kommt die Energie von Erde und Himmel, die Kraft dazu von den Elementen. So die grob übersetzte Kurzfassung…

Ein Stück weiter halten wir am Rand des Abgrunds an und Hayde fragt, ob wir für eine kleine Meditation bereit wären. Wir nicken. Sie träufelt uns eine duftende Essenz aus Orchideen und diversen Blüten in die Hände. Wir schließen die Augen, während sie auf einer Holzflöte eine Melodie spielt.
Ich bin wahrlich kein religiöser oder hochspiritueller Mensch, verschließe mich aber auch nicht vor derart „überirdischen“ Dingen und respektiere sie. Energie aus der Natur ziehen, oh ja, das funktioniert bei mir. Deshalb bewerte oder hinterfrage ich die Sinnhaftigkeit solcher Rituale auch nicht, sondern genieße einfach das Hier und Jetzt. In dieser atemberaubenden Landschaft zu stehen, all das erleben zu dürfen, zu reisen – reine Dankbarkeit und Glückseligkeit ergreifen mich in diesem Moment und treiben mir Tränen in die Augen. Es sind genau diese Augenblicke, die im Gepäck mit nach Hause reisen und die man nicht vergisst…
Wanderbus zieht weiter. Schweren Herzens verabschiede ich mich von der liebenswerten Hayde. Es war zwar ein kurzes, aber inniges Kennenlernen und sie wird auf meiner weiteren Reise und darüber hinaus mit mir verbunden bleiben, was ich jetzt noch nicht ahne.
Nicole und ich laufen die Straße zu unserem Hostel hinab. Die Chefin des Hauses spricht ausschließlich Spanisch, wundert mich nicht mehr… Jede von uns bezieht ein riesiges Zimmer mit jeweils 2 großen Betten und einem Ofen darin. Irgendwie gibt es Missverständnisse bei der Reservierung, wir hätten ja locker ein Zimmer teilen können. Das bekomme ich der kleinen Dame auf Spanisch aber leider nicht beigeweicht. Sei’s drum, sicherlich ist sie um jeden zahlenden Touristen froh, denn ausgelastet ist das Hostel nicht.

Shalala oder „oh wie schön ist Quilotoa“
Bevor die Sonne untergeht, machen Nicole und ich noch einen Nachmittags-Hike. In stetigem Auf und Ab wandern wir den Weg entlang zur Aussichtsplattform Shalala. Schwimmen kann man in dem Kratersee übrigens nicht. Das mineralhaltige Wasser würde die Haut völlig austrocknen.


Wir haben Gesellschaft von einem Hund. Er weicht uns knapp 7 Kilometer nicht von der Seite. Die Landschaft ist zutiefst beeindruckend und die Aussicht überragend. Immer wieder bleiben wir sprachlos stehen, machen Fotos und genießen die Schönheit, die uns umgibt.
Unser treuer Begleiter Aussichtsplattform Shalala

Gerade noch rechtzeitig vor Anbruch der Dunkelheit kehren wir zurück ins Dorfzentrum.
Besuch von Pablo
Nach einer heißen Dusche fleetzen wir uns mit einem wärmenden Tee in den riesigen Aufenthaltsraum zur Hausherrin auf die Sofas. Still lächelt sie uns an. Voller Ruhe fackelt sie eine Holzlatte in einem für den großen Raum viel zu kleinen Kaminofen ab. Die Wärme verpufft bereits auf dem kalten Weg zum Sofa.

Nicole hat eine Katze in ihrem Schoß liegen. Sie bittet mich, unsere Gastgeberin nach dem Namen des schnurrenden Tieres zu fragen. Das krieg ich mit meinem Spanisch hin. Lächelnd kommt leise die Antwort „Pablo.“
Im Augenwinkel sehe ich einen Schatten auf dem Boden. Dann hoppelt ein Kaninchen vorbei und springt aufs Sofa. Nein, es ist nicht weiß und NEIN, ich habe keinen Alkohol getrunken. Ich zeige lachend auf den Hasen und erfahre, dass er hier wohnt. Ebenso wie der Kater, zwei Hunde und noch Meerschweinchen. Das Kaninchen heißt übrigens auch Pablo.
Wie gerne würde ich mit der freundlichen Frau erzählen. Wieder mal ärgere ich mich über mein schlechtes Spanisch. Es ist so schade, sie weiß sicherlich viele interessante Dinge über das Land und die Menschen hier. Eine kleine Unterhaltung über ihre Familie und klappt dann immerhin, bevor sie sich für die Nacht verabschiedet.
Völlig durchgefroren, ziehen auch wir uns in die Gemächer zurück. Nachtruhe ist allerdings erst mal nicht. In meinem Zimmer hockt, zwischen meinem Rucksack, den Schuhen und dreckigen Wanderhosen, Pablo. Mit seinen langen Löffeln mustert er mich unbeeindruckt.

Kurz überlege ich, ihn als Wärmflasche umzufunktionieren, entschließe mich dann aber, ihn rauszuwerfen. Da habe ich die Rechnung allerdings ohne Pablo gemacht, dem gefällt’s nämlich hier und er flüchtet unters Bett. Geschlagene 20 Minuten dauert es, bis er aus dem Zimmer hoppelt. Ich lache immer noch, als ich im Bett liege.
Am nächsten Morgen machen wir uns, nach einem leckeren Frühstück (Kaffee und Wassermelone, es kann nicht mehr besser werden), zu dem sich auch Hase Pablo gesellt, nochmals auf zur Laguna Quilotoa.
Gekommen um zu wandern
Das illustre Wandervolk kommt hier sowas von auf seine Kosten. Hat man sich am Eingang registriert, gibt es die Wanderung Quilotoa Loop, die rund 11 Kilometer (mit einigen Höhenmetern) komplett um die Lagune führt. Oder man macht die Variante, die wir mangels Zeit wählen und begibt sich den Serpentinenpfad zum Ufer hinab. In unserer Vorstellung sitzen wir nachher genau dort, chillend und Käffchen trinkend.

Die Ernüchterung kommt mit der Ankunft am Ufer. Hier ist nix. Mal abgesehen von einem Maultier- und Kanuverleih (letzterer nicht wirklich frequentiert). Und irgendwie sah es von oben alles spektakulärer aus. Dafür ist’s kein Touri-Hotspot, rede ich es mir schön. Okay, trockene Baustelle, wir begnügen uns mit unserem Wasser und ner kleine Pause, bevor die 370 Höhenmeter wieder aufwärts geömmelt werden.

Nicole beschließt, einen Muli rauf zu nehmen. Währenddessen stiefel ich schon mal los. Von den entgegenkommenden Leuten werde ich verwundert und erstaunt beäugt. Versteh ich gar nicht. Irgendwie läuft aber niemand nach oben. Zugegeben, es ist steil. Teils sehr steil. Weil der Sandboden richtig tief ist, laufe ich den Weg – soweit es möglich ist – über die schmale Steinmauer hinauf. So finden die Füße besser Halt.


Ich buche das Spektakel unter „schweißtreibendes Bergtraining“ ab, als ich feuchtfröhlich oben ankomme. Zeitgleich mit Nicole und ihrem schnaufenden Träger.

So, können wir jetzt zum chilligen Teil übergehen?
Cappucchino vs. Canelazo
Im Ort finden wir ein gemütliches Café, in dessen Karte auch der sagenumwobene „Canelazo“ steht. Wir knallen uns in die Sonne und gönnen uns erst mal einen Cappucchino.

Jetzt müssen wir unbedingt das ecuadorianische Nationalgetränk testen! Ich habe schon davon gelesen und Nicole mit meiner Schwärmerei angefixt. Wir ordern „dos Canelazos con alcohol“ und schwuppdiwupp, steht ein orangefarbenes, wohlduftendes Gebräu vor uns, in dem sich Zimtstangen, Nelken und Naranjilla-Stücke tummeln. Daneben ein Schnapsglas, dessen Inhalt wir in das Heißgetränk kippen. Was soll ich sagen? Wär’s kalt gewesen, uns wär’s warm geworden! Aber auch, oder vor allem in der Sonne schmeckt’s gar köstlich!

Um 16 Uhr wird uns der Wanderbus einsammeln. Wir nutzen die Zeit also sinnvoll und passen uns den Traditionen und landestypischen Gepflogenheiten an. In diesem Sinne: „Dos Canelazos con alcohol mas, por favor.“ Auch mein Spanisch wird zusehends souveräner. Den zweiten Ecuador-Glühwein trinken wir, mangels Sonne, drinnen am knisternden Kaminfeuer. Fast kommt Weihnachtsstimmung auf, bei dem Getränk und dem geschmückten Tannenbäumchen.

Ausgelassen holen wir im Hostel die deponierten Rucksäcke ab, verabschieden uns von unserer Herbergsmutter und treten die Weiterreise an.

Nach viel Friererei in Quilotoa (teils erfolgreich mit Canelazo entgegengewirkt) geht es nun in wärmere Gefilde. Heute Abend werden wir mit Wanderbus in Baños ankommen. Und dort ist für Adrenalin-Junkies was geboten…

(Teil 6 folgt)
Wie steht ihr zu spirituellen Riten oder Zeremonien? Habt ihr auf euren Reisen auch Dinge erlebt, die befremdlich oder faszinierend für euch waren oder euren Blickwinkel veränderten? Und was macht euch unterwegs sprachlos oder jagt euch eine Gänsehaut der Begeisterung über den Rücken? Ich freue mich, wenn ihr mir in den Kommentaren davon erzählen möchtet!
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