Sport- und Alpinklettern im Climbers Paradise
Juni 2019
Erstens kommt es anders…
Eigentlich war eine mehrtägige Hüttentour in den Dolomiten geplant. Danach vielleicht noch einige Tage Sportklettern zum Ausklang. Wer konnte ahnen, dass Ende Juni noch so viel Schnee liegt?! Selbst Plan B, auf eine andere Region auszuweichen, scheiterte erst einmal, da eine der Hütten ihre Eröffnung verschieben musste und die, die geöffnet hatten, komplett ausgebucht waren.
Pläne sind dazu da, sie über den Haufen zu werfen und so fuhren wir (Kletterpartner und Berg-Vorrenner Frank und ich) zunächst für ein paar Tage nach Imst, um uns im Climbers Paradise auszutoben. Gibt schlechtere Alternativen 🙂
Die Fahrt nach Imst lief wie geschmiert und kurz nach 11 Uhr flogen wir auf dem Campingplatz ein. Schnell das Zelt auf die Wiese getackert und direktomundo an den Fels!
Der Tag wurde am Rammelstein in Sautens (Ötztal) bis zum Abend bestens genutzt. Der perfekte Start zur Einstimmung auf die Klettertage.
Vielseitige Kletterei in Längenfeld / Oberried
Am nächsten Morgen ging es nach dem Frühstück (Kaffee schmeckt ja soooo viel besser, wird er mit einer ordentlichen Dosis Sonnenschein im Freien verköstigt) nach Längenfeld / Oberried. Eine mächtig lange Wand, wunderschön gelegen inmitten einer Weide, breitete sich vor uns. Hier gab es genug, sich eine Weile die Finger langzuziehen.
Zudem punktete das Gebiet mit seiner schattigen Ausrichtung, bei Temperaturen von über 30 Grad kein unwesentlicher Faktor. Besonders toll fanden wir die vielen herrlich langen Routen (30 Meter). Im Climbers Paradise sind die Abstände der Bohrhaken selbst für „Vorstiegs-Helden“ wie mich ein Träumchen! Kurzum, wir kamen voll und ganz auf unsere Kosten. Wir kletterten uns durch diverse Sektoren (Blattlaus, Baumriese, Rosemaries Baby, Hare Krishna) mit sehr abwechslungsreichen Routen. Von leicht plattig bis senkrecht, von chillig bis sportlich, ein genialer Mix in kompaktem Granit.

Um dem „Paradise-Feeling“ gerecht zu werden, zückten wir am Nachmittag gepflegt den Espressokocher und zauberten uns im Grünen einen Koffeein-Erheiterer. Ach, wie schön das Kletter-Kaffeeleben doch sein kann.
Was man im Climbers Paradise oft vorfindet, sind komplett ausgestattete Toilettenhäuschen in Nähe der Klettergebiete. Oftmals laden schöne Holzbänke und Tische zum pausieren ein. Und nicht selten hängen aktuelle Topos an Schildern vor den Felsen. Hier ist man definitiv auf ein Höchstmaß bemüht, es dem Klettervolk so behaglich wie möglich zu machen. Der Name ist Programm und wird gelebt.
Hinter jedem guten Plan, grinst hämisch die Realität
Der Masterplan für den darauffolgenden Tag wurde am Abend bei Bier und Schorle geschmiedet. Wir würden zur Imster Bergbahn und von dort zur Muttekopfhütte hochfahren (unter Wehklagen von Frank, der aus zeitlich-organisatorischen Gründen dann aber doch das „klassische Touri-Programm“ vorzog), zum Sektor Silberwurz stiefeln und dort in die Hepke Vitale einsteigen. Eine 7-Mehrseillängentour, 220 Meter lang, im Schwierigkeitsgrad 4 und 6/6+. Yeah!!!
Am nächsten Morgen kam die Ernüchterung schon vor dem ersten Kaffee. Campingplatz-Chef Gerhard verkündete uns, dass die Bergbahn momentan nicht zur Muttekopfhütte fahren könne. Zudem bestehe das Risiko von Schnee im Klettergebiet. Hmpf!
Koffeein-Krisensitzung vorm Zelt. Dann ein hilfreicher Anruf auf der Muttekopfhütte, der uns wieder Hoffnung machte, die Tour sei vermutlich schneefrei. Nichts desto trotz fahre die Bahn nur bis zur Mittelstation, was ein deutlich längerer Zustieg zur Klettertour (es waren bereits vormittags knapp 30 Grad) bedeutete. Erneutes Brainstorming.
Masterplan-Abwandlungsergebnis: Wir packten zügig die Rucksäcke, schwangen uns ins Auto und fuhren von Imst mit der Bergbahn zur Mittelstation (1.495 m). Die restlichen rund 460 Höhenmeter absolvierten wir zu Fuß, vorbei an der Latschenhütte (1.623 m) und über einen Schotterweg weiter Richtung Muttekopfhütte (1.934 m) zum Guggerköpfle, das Klettergeraffel auf dem Rücken, die Sonne im Gesicht. Gutes Warm-Up mit grandiosen Fernblicken auf eine imposante Bergkulisse. Trotz der Höhe war es ordentlich warm und wir nutzten die gelegentlichen Schneefelder zur Abkühlung.


Bis dahin heißt es latschen und schwitzen.
Der Ruf der Hepke Vitale
Am Felsfuß ließen wir den großen Rucksack stehen, den kleineren stopften wir mit Pulli, Schuhen, Getränken und Notwendigkeiten voll. Vor uns war bereits eine Seilschaft in der Wand.

Der Schnee begleitete uns bis hierher.
Vollgehängt mit Expressen, Bandschlingen, Friends und Keilen stieg ich in die erste Seillänge (Schwierigkeitsgrad 4) ein. Die Absicherung war top, der Fels griffig, überraschend löchrig (für Konglomerat) und nicht abgespeckt. Gegen Ende der Seillänge wurden die Hakenabstände weiter und machten die Routenfindung für mich nicht ganz schlüssig, jedoch keinesfalls schwierig. Am Stand sicherte ich Frank nach. Abwechselnd kletterten wir die ersten fünf Seillängen (alle im 4. Grad), begleitet vom lauten Rauschen des wilden Bergbachs unterhalb der Wand. Das Wetter war einfach perfekt, die Wand lag im Schatten und trotz der hohen Temperaturen war es recht kühl. Die Ausblicke, die sich uns boten, waren absolut traumhaft. Zwischenzeitlich war unter uns eine weitere Seilschaft eingestiegen.

In der 6. (6/6+) und 7. (5. Grad) Seillänge überließ ich Frank den Vorstieg. Als ich mit vollem Rucksack, am langen Arm an der Schlüsselstelle des Pfeilers hing, war ich froh über diese Entscheidung. Ehrlich gesagt, war ich auch etwas verunsichert: Vor der 2. Seillänge – Frank war längst außerhalb des Sichtfeldes – hatte ich beim Sichern einen Stein von oben abbekommen, den ich zu spät sah. Der Stein schlug mit einiger Fliehkraft direkt unterhalb meines Helmes an der Augenbraue ein. Glücklicherweise blutete es nur kurz, darum war ein Rückzug aus der Tour keine Option. Grade nochmal mit einem blauen Auge (im wahrsten Sinne des Wortes) davongekommen!

Nach 3 Stunden und 210 Metern abwechslungsreichem Plaisirklettern mit langen, botanischen Quergängen, standen wir bei strahlendem Sonnenschein freudig berauscht am Gipfel. Und vertrödelten gemütlich die Zeit. Ein Blick auf die Uhr (16 Uhr!!) machte klar, die letzte Bahn ins Tal zu erwischen (die um 17 Uhr an der Mittelstation abfuhr) wird verdammt sportlich, wenn nicht sogar ein utopisches Unterfangen.

Eilig nahmen wir das Seil auf, packten alles zusammen und stiegen den schmalen Pfad zur linken Seite hinab. Das Feierabendgetränk an der Muttekopfhütte war gecancelt, wir hatten keine Ambitionen mehr, zu Fuß zurück ins Tal zu laufen. So setzt man eben Prioritäten…

Should I gondel or must I go now?
Frank die Gazelle – mit seinen langen Stelzen deutlich schneller als ich – schickte mich weiter, während er zurück zum Einstieg lief, um den dort deponierten Rucksack zu holen. Im Stechschritt beförderte ich mich, wie geheißen, gen Tal. Regelmäßig hinter mich blickend, ob Sicherungs-Speedy bereits folgt.
15 Minuten vor der letzten Talfahrt lag die Latschenhütte noch immer ein gutes Stück vor mir.

Ein weiterer Späher zurück, ließ mich Frank entfernt erkennen. Prompt meldete sich der sportliche Ehrgeiz. Ich hatte eine Mission: Wir mussten die letzte Gondel erreichen. Mit dem Seil auf dem Rücken rannte ich bis zur Mittelstation, die ich tatsächlich um 17:01 Uhr transpirierend erreichte.
Jetzt war weiblicher Charme gefragt! Dem Mittelstations-Beauftragten säuselte ich etwas von suboptimalem Zeitmanagement und untertänigen Entschuldigungsfloskeln vor, während ich parallel (leicht unentspannt), die Frank-Entfernungsdiskrepanz im Kopf überschlug. Der Master of Mittelstation wurde nach 5 Minuten Warterei und Zulaberei von mir auch allmählich unmotivierter, was er mit lokalem Verbalausdruckstanz andeutete. Ich huldigte und dankte ihm ergeben weiter, Verständnis bekundend, dass er natürlich in seinen Feierabend gondeln wollte.
Frank pantomimte ich parallel, seine Anrollgeschwindigkeit doch möglichst um einige km/h anzuheben. Auch der Gondoliere blökte über die Wiese: „Jetz san’s scho 10 Minutn! L A U F E N!“ Und an mich gewandt: „Der hot aufg’hört zu lauf’n!“
Nassgeschwitzt, mit Schnappatmung und äußerst gesunder Gesichtsfarbe stolperte Frank um 17:12 Uhr an der Bergstation ein. Dankeshymnen singend, hievten wir unsere müden Kadaver und die Rucksäcke in die Gondel und schwebten – von Kässpatz’n und Kaltgetränken träumend – erleichtert und glücklich zurück ins Tal.
Dem echt coolen Bergbahn-Mann versprachen noch wir beim Abschwirren ein großes Dankes-Bier. Und wenn wir das nächste Mal dort sind, bekommt er das auch. Versprochen 😉
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Ein Gedanke zu “Ab durch die Wand”